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90 Jahre Lebenszeit – 60 Jahre Profess

Sr. Christamaria Schröter

Artikel aus dem Rundbrief der Communität – Herbst 2024

Portrait Sr. Christamaria Schröter

Sr. Christamaria Schröter

„ICH bin´s, der Herr, der Erste und bei den Letzten noch derselbe.“
(Jes 41,4)

Das ist eine Verheißung! So habe ich Gott in all den Jahrzehnten erlebt, damals als ich eintrat, in jenen Anfangsjahren der Christusbruderschaft, in der Zeit des Umbruchs und heute in unseren Veränderungsprozessen, wo es um Konzentration und Loslassen geht und wir uns ganz neuen Fragen stellen. Gott ist durch alle Wüsten mit uns, mit mir, gegangen und das Brot war immer da: ER selbst, in vielerlei Gestalt. Ich habe Ihn als einen überraschenden Gott erlebt, immer völlig anders, unerwartet. Als Kind war Er selbstverständlich mein Gegenüber, mit dem ich geredet habe. Dann kam der Krieg, die Flucht, totale Verunsicherung durch viele Begegnungen mit dem Tod und mich beschäftigte die Frage: Warum leben wir eigentlich, wenn wir doch sterben müssen? Die Konfirmation war Anlass, wieder den Anschluss zu suchen; ich las in der Bibel. Als wir Konfirmanden nach der Segnung auszogen, stieg plötzlich ein Satz in mir auf – woher auch immer – : „Ein steiler Weg liegt vor dir. Willst du ihn gehen?“ Ich erschrak zutiefst. Noch wusste ich nicht, dass genau diese Frage am Beginn der Christusbruderschaft stand. Diese lernte ich erst später kennen über die Verkündigung von Hanna Hümmer. Da hat mich vor allem ihre Auslegung von Joh 3,18 überwältigt: „Also hat Gott die Welt geliebt, auf dass alle …“ Gottes Sehnsucht nach Verbindung mit jedem Menschen, inklusive mir!

Als ich kurz vor dem Abitur mit 17 Jahren hier eintrat, schrieb ich: „Ich komme um Dich, Gott, kennenzulernen. Irgendwann werde ich dich lieben.“ Aber nicht ich kam – ER hat mich zu sich gezogen. Ich konnte miterleben, wie Gott am Werk war: Häuser entstanden aus dem Nichts, Sendungen entfalteten sich – auch meine. Wie Gott uns versorgte – es waren Wunder!
Mein Berufungswort, das Hanna Hümmer innerlich für mich hörte, steht in Markus 11: „Der Herr bedarf seiner.“ Ein Wort, mit dem Jesus um einen Esel bittet, der Ihn tragen soll. Ein Lebenswort für mich. Es war meine Orientierung, trug mich durch Krisen, half mir bei vielen Entscheidungen, vor allem auch im Studium an Hochschule und Akademie, bei all den Angeboten kultureller, politischer, religiöser Art und bei der Wahl: Karriere und ein Mehr an Öffentlichkeit oder Leben mit meinen Geschwistern, Schaffen im Verborgenen. Ich habe letzteres gewählt und nie bereut. Er bedarf deiner, hier an diesem Ort – das war für mich ausschlaggebend.

Die Zeit vor und besonders nach dem relativ frühen Tod unserer Gründer brachte einen gravierenden Einschnitt für uns alle. Unsere Gemeinschaft umfasste in jener Zeit ca. 188 Mitglieder und wir lebten noch sehr in familiären Strukturen. Das ergab manche Überforderung und auch manches Leiden aneinander. Ich bin Gott von Herzen dankbar, dass durch Pfarrer Dr. Hans Häselbarth, den unsere Gründerin noch kurz vor ihrem Heimgang zu uns berufen hatte, so etwas wie eine Neugründung geschehen konnte. Es begann eine Phase der inneren Aufbrüche, der Vertiefung und Weiterführung von den ursprünglichen Inhalten unseres Auftrags. Aufteilung von Verantwortlichkeiten unter uns wurde möglich. Und das alles mitten in der Trauer um unsere Gründer und trotz der Abschiede, die zu Herzen gingen. Für mich war spürbar, Gott ist der Erste und der Letzte, wie Er es am Anfang war. Er ist am Werk und Er hat jeden und jede von uns im Blick.

In der Zeit des Umbruchs, konfrontiert mit eigener Ohnmacht und Verletzlichkeit, erkannte ich, wie sehr mich traumatische Erfahrungen in frühester Kindheit geprägt hatten. In der geistlichen Begleitung, nun bei unserem Pfarrer, lernte ich mit Gott innerlich zurückzugehen an jene Orte, wo Verlassenheit und Todesangst ihren Anfang genommen hatten, und erfuhr, wie Er sie verwandelte in Orte des Heils. Ich lernte aber auch – und lerne immer noch – mit Ängsten umzugehen, die geblieben sind. Das ist ein lebenslanger Prozess. Es bleibt ein Riss, aber durch ihn fällt das Licht – so etwa singt L. Cohen.
Da ich mich schon öfter mit Hanna Hümmers Texten beschäftigt hatte, bat mich der damalige Landesbischof um den Entwurf einer Regel (die endgültige entstand Jahre später durch Sr. Anna-Maria a.d. Wiesche). Es wurden zwei intensive „Regel-Jahre“– ich nenne sie meine „Profess-Jahre“ – denn nie wieder habe ich mich so in unsere Spiritualität vertiefen können. Die vielen Gespräche über die Regel mit den ältesten und verantwortlichen Geschwistern waren aufschlussreich. Ich lernte sie neu kennen im Ringen um lebbare Strukturen, im Aufbrechen von manchen „steilen“ Inhalten.

Unser Name war uns immer neu klares Signal und Programm: „Christus“ ist das erste Wort, daran hängt das Wort „bruderschaft“. So Vieles über Menschen, ihre Dynamik, über geschichtliche und biografische Zusammenhänge und vor allem über sich selbst erkennt man in der Praxis gemeinsamen Lebens. Es lohnt sich in Schwierigkeiten nicht davon zu laufen: Gott hat oft erstaunliche Lösungen. Ich habe es immer wieder erlebt – auch bei meiner Auftragsarbeit – dass ich an Grenzen kam. Nichts ging mehr. Es war der tote Punkt, wo ich alles nur Gott überlassen konnte, und dann geschah der Umschwung, das Aufatmen. Eine Ahnung, was Sterben und Auferstehen bedeuten können.
In meinem „Ruhestand“ ist Aufräumen angesagt, Signieren und Ordnen von freien Arbeiten, die neben den Aufträgen entstanden sind. Dazwischen genieße ich das Experimentieren auf kleinen Formaten ohne Termindruck, ohne daran

Es bleibt die Aufgabe, im Klein-Klein der Tage auf die „Sprache der Stille“ zu hören, in der Einsamkeit mit Gott immer wieder den Raum zu entdecken, wo ich auf-stehen kann. Leid bleibt nicht ausgeklammert, es kann mir nie egal sein, was anderen widerfährt. Machtlosigkeit, die selbst erfahren wurde, macht es leichter, sich mit Menschen „am Rand“ zu identifizieren. Hier heißt es dann gegen die Hoffnungslosigkeit und Resignation erfinderisch zu sein, schöpferisch zu denken und festzuhalten: Gott hat mit jedem, mit jeder Sein Geheimnis. Wir erkennen Ihn und Seine Geschichte mit uns nur bruchstückweise „wie in einem Spiegel“, aber dann von Angesicht zu Angesicht. Darauf gehe ich zu. Darauf freue ich mich.