„In Bildern und Gedichten drückt die evangelische Ordensschwester Christamaria aus dem Konvent in Selbitz ihre leidvollen Erfahrungen als Kind während der Wirren des Zweiten Weltkrieges aus.
Sie ist äußerlich behütet aufgewachsen in einem evangelischen Pfarrhaus in Schlesien. Aber innerlich fühlte sie sich verlassen und fremd, weil die Eltern sich zu wenig in ihre sensible Seele einschwingen konnten. Außerdem spürte sie die Bedrohung ihrer gläubigen Eltern durch das Nazi-Regime, was in ihr große Angst auslöste, mit der sie wiederum alleine blieb. Diese Ängste und die Erfahrung von Ohnmacht verstärkten sich durch Vertreibung und Flucht.
Erstmals konnte sie in den 80er Jahren ihre schmerzlichen Erfahrungen in Bildern darstellen, dazu ermutigt durch einen Pfarrer, der die Klostergemeinschaft damals spirituell begleitete. Jetzt wiederum ließ sie sich durch eine Mitschwester anregen, zu diesen Bildern Texte zu schreiben, in denen sie beeindruckend ehrlich und ebenfalls beeindruckend gläubig Elemente ihrer Geschichte erzählt und Einblicke gewährt, wie sie mit ihren Verwundungen als Christin umgeht.
Ein tief anrührendes Buch nicht nur für Menschen der Kriegsgeneration, sondern auch für alle, die sich als Kind verlassen und nicht genügend wahrgenommen erlebt haben.“
„Das Vergangene geht. Das Gewesene kommt." Die Wahrheit dieses Satzes von Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie, bestätigen die vielen Bücher, die sich mit Erinnerungen an – meist traumatische – Erlebnisse durch Krieg, Flucht und Vertreibung beschäftigen. Dass dies 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für viele Menschen erneut zu einem existenziellen Thema wird, ist bemerkenswert.
Sr. Christamaria Schröter von der Christusbruderschaft Selbitz hat zu Beginn dieses Jahres einen kleinen Band mit dem Titel „KIND kind“ vorgelegt. Er ist ein bewegendes Zeugnis für die Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Erleben der Kriegszeit, der Vertreibung aus Schlesien, der Flucht und den damit verbundenen Erlebnissen. In den Jahren 1982/83, also etwa 40 Jahre danach, gelingt es der Künstlerin in fünfundzwanzig eindringlichen, erschütternden Bildern auszudrücken, wozu ihr die Worte immer noch fehlen. Die Hauptgestalt ist das „Kind“. Drei Phasen seines kindlichen Lebens sind thematisiert: Bedrohte Zeit, Auf der Suche nach Vater, Und Jesus kam zum Grabe … Joh 11.
Diese Bilder bleiben weitere 30 Jahre liegen, bis eine Mitschwester sagt: „Zu schade für die Schublade“. Da wachsen die Fähigkeit und der Mut, das bisher Unsagbare in Worte zu fassen. Die Verfremdung durch die Kleinschreibung „kind“ hilft dabei. Gerade sie macht es auch möglich, dass andere Menschen sich angesprochen fühlen und eigene Erfahrungen mit den fremden Worten verbinden können. Sr. Christamarias Texte sind reduziert, minimiert, konzentriert auf das gerade noch Sagbare. Gerade in ihrer Knappheit sind sie von einer großen Eindringlichkeit. Sie beginnen: „Draußen ist das kind / mit sich drinnen Ganz allein“.
Ein häufig vorkommendes Motiv ist der Auferstandene mit Dornenkrone und Wundmalen; Menschen mit Dornenkrone als Leidende, in der Gemeinschaft mit dem Dorngekrönten (S. 25) – das sind bedrückende Bilder. Am Ende jedes Themenabschnitts jedoch leuchtet das Licht der Hoffnung: „… Gott kennt der Fäden Leid / löst Stich für Stich - // … Das Fest beginnt / Das Kind kann gehn / aus Grab und Tod / ins Leben / neu geschenkt“ (S. 37).
Das Schlusskapitel ist gleichsam eine Meditation der Geschichte des toten und auferweckten Lazarus auf dem Erfahrungshintergrund des kindes. „Das kind kann sich nicht rühren / Es ist eingeschnürt wie Lazarus in seinem Grab“ (S. 62). „Die Kälte hat es zusammengebunden / rundum Bänder aus Eis // Wie soll es atmen können?“ (S. 66f).
Aber dann: „Aufgenommen / … wenn das kind kein kind mehr ist / wird es zusammengesucht aus allen Winkeln / in die es sich verkroch … // Die Wände sind verschiebbar … sie sind aufgenommen“ (S. 76f).
Das letzte Bild: „Das kind, das kein kind mehr ist“, mit offenen, wachen Augen, bei Jesus ohne Dornenkrone, ohne Wundmale, aufgenommen, geborgen, mit der Bitte: „Sprich mir ein Wort“ (S. 78f). Jetzt beginnt das kind ICH zu sagen! Das klingt wie ein Durchbruch.
Die letzte Textseite muss man lesen, mitgehen, sich aneignen: „Ich will nicht erschrecken / nicht Angst haben vor geöffneten Türen / Kein Stein soll davor / Jetzt ist Schluss damit!…“ (S. 81).
In seinem Vorwort zu diesem Buch schreibt der Theologe und Psychotherapeut Klemens Schaupp: "Das vorliegende Buch ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Glaube als Hilfe und Orientierung erfahren werden kann" (S. 11). Den Abschluss des Bandes bildet ein aufschlussreiches Gespräch, das Pfarrerin Karin Lefèvre mit der Autorin geführt hat. Die Rezensentin, selbst Kriegswaise, verdankt diesem Buch neue Einsichten und Impulse zum Umgang mit der eigenen Lebensgeschichte.“